Plastikflaschen-Recycling: Deutschland übertrumpft Überflieger Norwegen | Wissen & Umwelt | DW | 30.07.2018

2022-08-26 18:09:47 By : Mr. Klaus Xu

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Norwegens Recyclingsystem für Plastikflaschen wird im Netz gefeiert. 95 Prozent Wiederverwertung, das klingt super. Sind die Skandinavier jetzt die neuen Reycling-Weltmeister? Ein DW-Check zeigt: Nein.

Kein Land der Welt recycelt besser als Deutschland, meldete erst Ende 2017 das in der Schweiz ansässige Weltwirtschaftsforum. 56,1 Prozent aller deutschen Hausmüllabfälle gingen in die Wiederverwertung. 

Aber dann ließen Berichte im Internet, unter anderem bei der britischen Tageszeitung "The Guardian", aufhorchen: Norwegen sei mit einer Quote von 95 Prozent Vorreiter beim Recycling von Plastikflaschen aus Polyethylenterephthalat, kurz PET. Auch das Weltwirtschaftsforum postete  bei Facebook ein Video, in dem es das skandinavische Land für sein gutes Recycling lobt. Möglich werde das durch ein ausgeklügeltes Steuer- und Pfandsystem.

"Norwegen ist sehr stolz auf sein Pfandsystem und macht viel Reklame dafür", sagt Peter Sundt gegenüber der DW. Sundt ist selbst Norweger und Generalsekretär bei der European Association of Plastics Recycling and Recovery Organisations, einer pan-europäischen Vereinigung von Plastikrecycleunternehmen. 

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Gute Gründe fürs Recycling

Das Prinzip ist einfach: Alle Hersteller von Getränkeflaschen und -dosen müssen in Norwegen hohe Steuern auf ihre Produkte zahlen. "In Norwegen mögen wir traditionell einfach Steuern", sagt Sundt. Die Unternehmen bekommen aber einen Steuernachlass, abhängig davon, wie viele Getränkebehälter landesweit wieder eingesammelt werden. Ist die Rücklaufquote über 95 Prozent, müssen sie gar keine Steuern zahlen. Das gibt den Unternehmen den nötigen Anreiz, ein landesweites Pfandsystem zu betreiben. 

Wer in Norwegen seine PET-Flaschen an einem der vielen Automaten zurückgibt, bekommt Geld - nicht anders als in Deutschland auch. Verwertungsunternehmen verarbeiten die leeren Flaschen zu hochreinen PET-Schnippseln, aus denen sich neue Flaschen herstellen lassen. Auch das ist europaweit Standard.

PET-Flakes oder -Granulat in unterschiedlichen Varianten - für jeden Hersteller ist das Richtige dabei

"Das sind hochwertige Materialien, die da gesammelt werden, und die Unternehmen reißen sich darum", sagt Frank Welle vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising. PET-Flakes und -Granulat - und damit auch PET-Flaschen - sind zu einem begehrten Rohstoff geworden, der bares Geld wert ist.

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Nicht alles ist Gold, was glänzt

Peter Sundt enthüllt, dass Norwegens vielzitierte 95 Prozent keine wahre Recyclingquote sei, sondern nur eine Rücklaufquote. Darunter fällt alles, was eingesammelt wird und eben nicht in der Natur und im Meer landet. Auch Flaschen, die mit dem Restmüll in die Müllverbrennungsanlage gehen, gehören dazu.

Wie hoch die tatsächliche Recyclingquote bei PET-Flaschen ist, weiß selbst Sundt nicht. "Ich würde schätzen, dass etwa 80 bis 90 Prozent wirklich recycelt werden - das ist auch schon sehr hoch." Keine Frage. Jede Plastikflasche, die nicht im Magen eines Meerestieres landet, ist sowieso ein Erfolg. Und im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt, die überhaupt kein Rücknahme- und Recyclingsystem haben, ist Norwegen tatsächlich Vorreiter.

Die sogenannten Preforms sind die Rohlinge für neue PET-Flaschen. Beim Streckblasen werden sie zu richtigen Flaschen.

In Deutschland wurden im Jahr 2015 laut Bericht der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung 93,5 Prozent aller PET-Flaschen wiederverwertet, bei den PET-Flaschen mit Pfand drauf waren es sogar 97,9 Prozent. Weitaus mehr also als in Norwegen. Wer mal wieder den halben Samstag am Einwegpfandautomaten im Supermarkt angestanden hat, weiß, wie gewissenhaft die Deutschen ihre PET-Flaschen sammeln.

Deutschlands Recyclingsystem für PET funktioniert ähnlich wie das in Norwegen, allerdings ohne Steuer auf Getränkeverpackungen. Stattdessen wurde das Einwegpfand Pflicht. Um den Unternehmen einen Anreiz zu bieten, das Pfandsystem zu betreiben, gehört demjenigen das Material, der die Flasche annimmt. Wer also eine Flasche bei Aldi kauft und sie beim Lidl zurückgibt, macht Lidl eine große Freude. Denn das Unternehmen kann das hochreine PET jetzt wiederverwerten oder verkaufen.

Inzwischen hätten die Supermarktketten kapiert, das sich im Geschäft mit PET viel Geld verdienen lasse, sagt Frank Welle. "2003 haben alle über das Einwegpfand gemeckert. Wollte man es jetzt wieder abschaffen, wären sie dagegen." Die Schwarz-Gruppe, Muttergesellschaft von Discounter Lidl und der Kette Kaufland, hat inzwischen sogar das Familienunternehmen Tönsmeier übernommen, den fünftgrößten Entsorger in Deutschland.

Unglaublich viel Geld wert: Zerdrückte PET-Flaschen als Rohstoff

Wer glaubt, dass alle eingesammelten Plastikflaschen wieder zu neuen Plastikflaschen werden, der irrt. Eine neue PET-Flasche enthält maximal 28 Prozent "PET-Rezyklat", also Reste aus alten Flaschen. Mehr ist technisch kaum möglich, erklärt Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe. "Bei einem Rezyklatanteil von mehr als einem Drittel bekommt man hässliche gelb- und braunverfärbte Kunststoffe."

Die eigneten sich nicht mehr für transparente Flaschen, sondern nur noch für bunte. "Die Verbraucher kaufen aber nicht gerne farbige Flaschen, sie wollen sehen, was drin ist."

Daher besteht eine neue PET-Flasche noch immer aus etwa 70 Prozent Plastik aus Rohöl, bemängelt die Deutsche Umwelthilfe, zusammen mit dem Naturschutzbund Deutschland und dem BUND. Ein großer Teil der PET-Flakes und -Rezyklate geht in die Herstellung von Folien, Fleece-Pullis und anderen Produkten. "Es ist also kein wirklich geschlossener Kreislauf", sagt Fischer.

Mehr dazu: Deutschlands falsche Liebe zum Recycling

Kein Mehrweg mehr in Norwegen

Das deutsche Recyclingsystem ist laut vielen Naturschützern noch aus einem anderen Grund um Klassen besser: In Deutschland gibt es noch immer ein starkes Mehrwegpfandsystem.

Norwegen hingegen hat 2014 das Mehrwegpfand abgeschafft. Alle Getränkeverpackungen sind seitdem Einweg, werden bei der Abgabe also geschreddert und dann zu neuen Verpackungen umgearbeitet. Einsammeln, spülen und neu befüllen gibt es dort nicht mehr. Das ist laut Umweltbundesamt aber die umweltfreundlichere Alternative.

Auch Nabu, BUND und Deutsche Umwelthilfe plädieren für das Mehrwegpfandsystem. "Glasflaschen kann man bis zu 50-mal wiederbefüllen, Kunststoffflaschen 20- bis 25-mal", sagt Thomas Fischer. "Mehrweg ist von der Energie- und Klimabilanz auf jeden Fall günstiger."

Leergut - egal, ob aus Glas oder Plastik - soll besser für die Umwelt sein. Ist es das?

Das sehen allerdings nicht alle so. Eine vielkritisierte Ökobilanzstudie des Ifeu-Instituts im Auftrag der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen fand im Jahr 2010, dass die PET-Einwegflasche gegenüber einer Mehrweg-Glasflasche nicht unbedingt umweltschädlicher sein muss. "Pauschale Schwarz-Weiß-Urteile hinsichtlich der einen oder der anderen Form der Getränke-Verpackung werden der Sachlage nicht gerecht und wurden es auch noch nie", fasst Bernd Kauertz vom Ifeu in einer E-Mail an die DW zusammen.

Die Entfernung, die ein Lastwagen mit leeren Mehrwegflaschen zum Säubern und Befüllen zurücklegen muss, spielt bei der Ökobilanz genauso eine Rolle wie die Entfernung zur nächsten PET-Verwertungsanlage. "Bei der Brauerei um die Ecke ist Mehrweg vorteilhaft, beim Wasser aus Frankreich ist Einweg besser", sagt Georg Mehlhart, Forscher für Ressourcen & Mobilität beim Öko-Institut. "Allerdings", fügt er hinzu: "Muss mein Sprudelwasser wirklich aus Frankreich kommen?" Oft spielen also ganz andere Überlegungen eine größere Rolle.

Für Norwegen fand eine Studie im Jahr 2013, dass ein Einwegsystem 18 Prozent an Kohlendioxidausstoß gegenüber einem Mehrwegsystem einspare. Aber auch in dem skandinavischen Land ist die Frage, ob Mehrweg oder Einweg besser sei, noch lange nicht geklärt, sagt Peter Sundt. "Es ist eine unendliche Diskussion, und die Antwort hängt immer davon ab, wen man gerade fragt."

Das deutsche Mehrwegsystem, das in dieser Art in Europa übrigens eine Seltenheit ist, hat also noch lange nicht ausgedient.

Nicht weniger als acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jedes Jahr in den Weltmeeren. Wird nichts unternommen, könnte bis 2050 mehr Plastik in den Meeren schwimmen als Fische. Ein Großteil des Mülls sammelt sich in mehreren großen Strudeln weit draußen im Meer. Strände, wie auf den Midwayinseln im Pazifischen Ozean, sind ebenfalls betroffen.

Plastik zerfällt mit der Zeit in kleine Partikel, die Meerestiere oft mit Nahrung verwechseln. Laut einer Studie der Universität Uppsala führt als Nahrung aufgenommenes Plastik bei Fischen zu gehemmtem Wachstum und einer erhöhten Sterberate. Fische scheinen Plastik sogar ihrer gewöhnlichen Nahrung vorzuziehen. Plastik in Fisch könnte auch ein Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellen.

Die Ocean Conservancy schätzt, dass bereits mehr als 690 Arten von Meerestieren vom Plastikmüll betroffen sind. In dem Bestreben den Müll zu reduzieren, haben einige Unternehmen Alternativen entwickelt. So etwa die Delray Beach Brauerei in Florida: Essbare Träger für Sixpacks aus Reststoffen wie Weizen und Gerste sollen die alten Plastik-Träger ersetzen. Geplant ist die Produktion für Oktober.

Einweg-Plastiktüten machen einen Großteil des Mülls in den Meeren aus. Ein polnischer Betrieb begegnet diesem Problem mit einer biologisch abbaubaren Alternative: Statt Plastik wird einfach Weizen-Kleie genutzt. Dem Erfinder Jerzy Wysocki zufolge kann die Biotrem-Verpackung in Ofen und Gefrierfach verwendet werden und soll sich in 30 Tagen zersetzen - und essbar ist sie auch noch.

Der schnell wachsende Bambus ist eine weitere Alternative zu Plastik und kann für die Produktion von Duschvorhängen, Zahnbürsten und sogar Computer-Zubehör genutzt werden. Das Unternehmen Tonggu Jiangqiao aus der Bambus- und Holzindustrie, im Bild oben, begann im Jahr 2008 mit der Massenproduktion von Tastaturen, Mäusen und Monitorgehäusen.

Alternativen mögen helfen, den Müll zu reduzieren, doch Millionen Tonnen von Plastik treiben weiterhin für Jahrhunderte in den Weltmeeren. Das niederländische Projekt Ocean Cleanup will mit einem 100-Kilometer langen, schwimmenden Dammsystem das Plastik in den Meeren auffangen, ohne Fische oder andere Meerestiere zu gefährden. Die Anwendung im Pazifischen Ozean soll bis 2020 realisiert werden.

Ein Teil des Plastiks könnte recycled und in anderer Form wiederverwendet werden, beispielsweise für Blumentöpfe, als Dämmmaterial oder – im Fall der spanischen Firma Ecoalf – für Kleidung. Das Modelabel aus Madrid nutzt Plastikmüll, der von Fischerbooten im Mittelmeer gesammelt wird und macht daraus Polyesterfasern – die wiederum zu Jacken, Rucksäcken oder anderen Modeartikeln verarbeitet werden.

Plastikmüll kann außerdem noch in seiner originalen Form wiederverwendet werden: Auf der Rio +20 Konferenz der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung im Jahr 2012 – 20 Jahre nach dem ersten World Oceans Day – wurden gigantische Fische aus Plastikflaschen entlang der Promenade von Rio de Janeiro ausgestellt.

Autorin/Autor: Martin Kuebler/ okz

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